Reinhard Müller-Mehlis
Der Gebrauch von Symbolen in der bildenden Kunst deutet jeweils auf einen bedeutsamen Sinn, einen tieferen Inhalt. Die wörtliche Übersetzung lautet: Zusammenwurf. Das griechische Wort symbolon ist abgeleitet von dem Verb symballein = zusammenwerfen. Gemeint war damit ursprünglich ein Erkennungszeichen. Eine Marke, deren Gültigkeit daran zu erkennen war, dass sie im Zusammenwurf mit einer zugehörigen anderen Marke sich als passend erwies. Bruchstücke einer Schale konnten in der Zusammenfügung die Zusammengehörigkeit ihrer Besitzer beweisen. In der kirchlichen Lehre war das Symbolon Erkennungszeichen der getauften Gläubigen, schließlich anschauliches Bild für einen geistigen Sinn, eine Person oder einen Vorgang. Der Sinn etwas Gemeintem wird zur Anschauung gebracht,indem die Beziehung zwischen dem Zeichen und dem Bezeichneten Gestalt erlangt.
Das allgemeinste Symbol der christlichen Kunst ist das Kreuz. Sie verwendet Tiere, Zahlen, Farben, Zeichen und Gegenstände in symbolhafter Weise. Sie schuf eine Sprache der Symbole, ein Regelwerk von Vereinbarungen über die Darstellungsweise von Bedeutungsträgern, einen Kanon der Merkmale, der bis ins ausgehende Mittelalter seine Gültigkeit behielt.
Helmut Kästl arbeitet mit der Symbolik von Farben, Formen und Gegenständen im Sinne des Mittelalters, doch auf eine andere, nicht mehr kanonisch gebundene Weise. Blau, die Christusfarbe, ist für ihn die Farbe des Geistes und der Wahrheit. Rot, die Farbe der Gottgeweihten bereits im Altertum, ist in der mittelalterlichen Tradition als Purpurrot die Farbe Gottes und des Kaisers, während das leuchtende Scharlachrot schon in der Antike die Freude meinte, das Leben, als Blutfarbe auch den Krieg und den Kampf. Gold gelb steht auch in Kästls Verständnis für die Allmacht Gottes, für das himmlische Licht, für die Glorie des Auferstandenen, der selber Teil des Lichtes wird, uns im Licht erscheint — wie in Kästls Auferstehungsbild des Kreuzwegs in der Münchner Pfarrkirche St. Karl Borromäus. Grün bedeutet seit jeher, so bei Kästl ebenfalls, neues Leben, neue Erkenntnis und Wachstum.
Kästl bevorzugt in der Dominanz die Blauwerte. Sein Blau erhält selbst im Staffeleibild etwas Gläsernes, durchscheinend Tiefgrün diges, volltönend Nächtliches, vollends aber in der Verwendung der Glasmalerei. Alle Teile fügen sich zu einem Ganzen, das in Schattierungen und Modulationen, in Linienzügen und Einfügungen seine Geschlossenheit erweist.
Diese Malerei hat in ihrer Farbwahl, ihrem Formenkanon und ihrer begrifflichen Symbolik etwas durchgängig Prinzipielles. Die Motive des Himmels, der Sonne und der Elemente sind in ihrer schlichten Klarheit eingängig, selbst wenn wir den Gestaltungen Kästls zum ersten Mal begegnen. Seine Schöpfungsmotive haben etwas unabweisbar Suggestives. Das Ursprüngliche hat kosmischen Charakter, es meint Geheimnis und Erlösung. Nur wer an das Unvergängliche glaubt, kann im Vergänglichen dessen Beweiskraft erblicken.
Wir verdanken Kästl aus diesen Gründen einige der besten und schönsten Kirchenfenster unserer Zeit—ob Altarraum von St. Ursula in Kirchdorf am Inn, wo Glaube und Hoffnung sowie Ostern und Pfingsten symbolisiert werden, oder mit den Darstellungen der vier Elemente, der Engel und der für Einheit sorgenden, von außen her spaltenden Flammen im großen Radfenster von St. Michael in Burgrain bei Garmisch. Gefährdet sind die Elemente, das Rettende auch symbolisieren die Engel. Das feste, dichte Blattgefieder der grünen Pflanze wächst im Blau dem Licht entgegen. Das Veränderliche dringt vor ins Bleibende, von dem es bewirkt wird. Das Vergängliche erhält seine Beweiskraft im Unvergänglichen. Das Aufstrebende bleibt in seiner Entfaltung gebunden und gebor gen. Das Waagrechte kann den Himmel andeuten, die Hoffnung: Grenze und Übergang zum Außerirdischen. Das Oben und das Unten existieren nie unverbunden, eine zeichenhafte Senkrechte wirkt jeweils entscheidend. Ob Fresko, Glas, Wandbehang, Keramik, Bronze oder Stein—das Material dient dem stets übereinstimmenden Begehren, Zusammenhänge des Sinnvollen zu stiften. Über zeugtheit gewinnen wir durch das Gelingen, mit dem uns Helmut Kästl konfrontiert, um uns teilnehmen zu lassen an der Verständigung über das Geheimnis der Schöpfung.