Dr. Anna Zanco-Prestel
Ganz traditionell, nach dem ausdrucksstarken Vorbild des mittelaterlichen Glasmosaiks, geht Helmut Kästl im Gebrauch der Techik um: Klassische Bleiverglasung mit mundgeblasenem, transparentem und opalisierendem Echt-Antikglas. Die lineare Zeichnung geschieht mit Schwarzlot, einem Gemisch aus zermalenem Glas (Glasfluss) und Kupfer oder Zinnoxyd, das eine Verdichtung der Farbe bzw. eine besonders opake Wirkung erzielt.
Immer noch "flächengerecht", d.h. der Fläche entsprechend, das Liniengefüge gleichsam ornamental ausbreitend, malt der bayerische Maler und Bildhauer und widersetzt sich somit dem heute verbreiteten Trend einer Glasmalerei, in der ein häufig auf PC entworfenes Motiv "flächenfremd" auf Glas - meistens industriell angefertigtes "Floatglas" - wie auf Leinwand oder Papier projiziert wird.
Verwendet wird von ihm Glas mit von hellem nach dunklem Farbverlauf, was den Arbeiten z.T. aquarellhafte Wirkung verleiht. Gefolgt wird meistens der Struktur des Glases, wobei "Werkspuren", Blasen und Schlieren erhalten bleiben. Schattierungen und "Maserungen" bei sehr aparten, nach diesem Kriterium ausgesuchten Fundstücken, werden zur lnspirationsquelle für eine oft poetische Flucht in die Abstraktion.
Gestalterisch pflegt Helmut Kästl den Umgang mit grafischem Liniengefüge als Gegensatz zur Fläche. Bevorzugt ist die klassische Aufgliederung mit senkrechten und quer verlaufenden Linien, was in der darstellerischen Transponierung religiöser Themen förderlich ist, wobei die Summierung der Linien die Spannung erhöht und Bewegung innerhalb der Komposition erzeugt.
Neue, ganz persönliche stilistische Ansätze lassen sich bei diesem sensiblen Künstler erkennen, der mit einem unverwechselbaren Zug vorwiegend abstrakt-symbolisch arbeitet.
So zum Beispiel in einem seiner bedeutendsten Werken, in der 1984 realisierten Rosette der St.Paulkirche in München, wo die technischen Vorgaben des neogotischen Maßwerks zwar eingehalten werden, die Gestaltung in den hellen weiß-gelben Tönen mit ihrer feinen, reduzierten Zahlensymbolik entschieden innovativ ist. "Leben und Licht", "Lichtzeichen" bzw. "Pflanze und Sonne" sind die oft wiederkehrenden Themenkreise in Kästls reicher Bildersprache, deren Formsymbolik, einen Durchblick in das Rätsel der Schöpfung erlaubt.
Bruchstücke des Ganzen, dessen vollkommene Sicht dem Menschen versperrt bleibt, fügt er in seinem Werk zusammen, wohl wissend, dass das "Zusammengefügte" im Griechischen oft für "Sinnbild" steht.
Von hoher Symbolkraft auch die Wahl der Farben, oft fließende Farben, die — neben dem überall dominierenden und auch unverwechselbaren Blau, das für Geist und Wahrheit steht- in einer Palette von Gelb bis Rot erstrahlen.
Dort, wo sie auftreten, wirken die einfach stilisierten Figuren in ihrer selbst im dramatischen Kontext beinah spielerischen Heiterkeit als Überbringer einer "Frohen Botschaft" in einem fortwährenden Dialog mit den Linien, Flächen und Geometrischen Formen begriffen.
Nicht nur Details, sondern Elemente von großer kompositorischer Wichtigkeit sind jene ausschnittweise angedeuteten Gebilde, die immer wieder am Bildrand auftauchen: geheimnisumwitterte Erscheinungen, zufällige Präsenzen, wie eine schnelle Pause in der
Musik.
Gezeigt werden in der Ausstellung hinterleuchtete handliche Vorhängescheiben in Bleiverglasung in Abwechslung mit mehreren großformatigen Postern, die einige der zahlreichen architekturbezogenen Arbeiten des Künstlers in allein in Bayern nahezu 40
Bauwerken reproduzieren.
In der Mitte des Raumes vier im Glanz des Lichtes durchscheinende Traumbilder ziehen den Blick in ihren Bann. In diesem Werk "Die Vier Elemente" treffen viele seiner zum stilisierten Symbol verdichteten Sujets aufeinander.
Still versenkt man sich in dieses lyrische Gebilde und folgt ergriffen dem Erzählfluss des begnadeten Lichtmalers...
Ein Zephyr kündigt sich als Vorbote vom Lenz an,
Mörikes Vers kommt in den Sinn:
"Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte"
Ein quer treibendes Bündel wie Flüsse und Bäche strömt dem Meer entgegen, der natürlichen Biegung des Glases folgend; eine Wasserquelle hebt sich verstohlen aus dem Schatten hoher Gebirgskonturen hervor.
Weiße Wolken, grüne, zu Flecken reduzierte Landschaften schräg im Mittelfeld. Oben ein fahles, kreisförmiges Strahlen kündet den Anbruch eines neuen Tages.
Eine rote Feuersäule, deren betonte Diagonalen die Statik der Komposition durchbrechen, auf einem von Ultramarin- bis Preussischblau verlaufenden Hintergrund. Am unteren Rand ragt eine blaue Scheibe heraus, ein Hauch von Sonne erlebt seinen letzten Auftritt.
Luft. Wasser, Erde und Feuer... Kästls "geschwisterlicher Umgang mit der Natur", den er aus der einfachen Lehre des Heiligen Franziskus von Assisi (+ 1226) bezieht, feiert hier seinen Triumph.
Im Licht betrachtet, wird seine Malerei zum "Sonnengesang", zum "Cantico delle Creature", zum "Gesang der Geschöpfe", wie es in der Originalsprache heißt.
Die Natur entpuppt sich - wie bereits in Kästls frühestem Schaffen -als der wahre Protagonist seiner dichterischen Welt. Eine üppige, freundliche, im Zuge der Jahre zunehmend minimalistisch reduzierte Natur, die eine ideelle Brücke zwischen der rein menschlichen und der göttlichen Dimension schlägt.
So, als Bezug zum Irdischen, jener "Der Baum hat Hoffnung", ein Bild, das er - weit vorausblickend - schon im fernen 1975 malte, als das Wort "Baumsterben" noch nicht erfunden war. Oder jene verletzte Friedenstaube vor dem Hintergrund einer Ruine, beim Ausbruch des ersten Golfkriegs realisiert.
Mit einem aus Ruinen auferstandenen Schmetterling begrüßt er wiederum 1989 den Fall der Mauer und setzt somit seine Hoffnung auf einen Neuanfang ins Bild.
Der ewige Kreislauf der Natur beflügelt seine Phantasie, der Wechsel der Jahreszeiten mit ihren schillernden Farbabweichungen fließt in sein tiefreligiöses Werk ein, das sich von Zitaten aus der biblischen Überlieferung und aus der christlichen Ikonografie füllt.
Luft als Pneuma, Geist
Wasser als lebendige Quelle für Taufe;
Feuer als Heiliger Geist für Pfingsten;
Erde, Wachstum, irdischer Lebensbereich
für das Wirken des Geistes.
Über alle von ihm bevorzugten und immer aufs Neue verwandelten Sinnbilder erstrahlt der Radstern. Das Rad, das in der Romanik als Vorbild für das Radfenster gilt, in der Gotik, aufwendiger gestaltet, zur leuchtenden Fensterrose der Kathedralen wird. Das Rad stellt die Zeit in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft dar, wobei das Drehen auf die endlose Wiederholung von Tag und Nacht, Jahr auf Jahr, Leben und Tod hinweist. Die Speichen formen ein Sonnenbild. Das Zentrum, die Nabe, versinnbildlicht die Zeit als Ewigkeit. Das Quadrat des Bildgrundes steht mit seinen vier gleichlangen Seiten für die vier Elemente und für die vier Himmelsrichtungen zugleich, während die gelb-goldene Farbe Metapher für die Vollendung und Wirklichkeit Gottes ist, die an Weihnachten offenbar wird. Der achtstrahlige Stern ist dafür das Zeichen.
Die Ausstellung "Das Farbige Licht" ist seit 1998 immer die letzte in der Abfolge von vier Ausstellungen am Ende des alten und zu Beginn des neuen Jahres. Gewählt hat Helmut Kästl zielgerichtet dieses Thema, um auf den Advent (Warten auf das Licht) und auf Weihnachten einzustimmen, insbesondere aber auch um Licht mit der durchleuchteten Farbe in der dunklen Jahreszeit bewusster in der Wahrnehmung der Menschen zu machen.
Die Werkschau mit Werken der Glasmalerei soll einmal im Jahr einen Schwerpunkt im süddeutschen Raum setzten, wo beispielweise in Waldsassen noch Echt-Antik-Glas hergestellt und weltweit exportiert wird, aber kein Glasmalereimuseum existiert.
Wünschenswert wäre es, wenn es eines Tages in der Stadt Pfarrkirrchen Wirklichkeit werden würde, die sich unter dem kunstsinnigen und engagierten Bürgermeister Georg Riedl in dieser Hinsicht so entschieden profiliert hat.
München, im Oktober 2010